Hoangortn
Charlotte Aurich, Margareth Kaserer, Franziska Schink, Maria Walcher
2.9.21 – 13.11.21
kuratiert von Elisa Barison
für den Südtiroler Künstlerbund
In der Ausstellung Hoangortn sind von 2. September bis 13. November 2021 Arbeiten der
Künstlerinnen Charlotte Aurich, Margareth Kaserer, Franziska Schink und Maria Walcher zu
sehen.
Wer sich auf die Suche nach der Herkunft des Begriffs „hoangortn“ begibt, trifft auf
lächelnde oder neugierige Gesichter. Beides verspricht Gutes.
Der Begriff stammt vom mittelhochdeutschen „heingarte“ und bezeichnete ursprünglich den
Garten vor den Häusern ländlicher Gebiete im süddeutschen Sprachraum. Hier traf sich die
Nachbarschaft in geselliger Runde um zu plaudern, zu musizieren, ja vielleicht sogar das
Tanzbein zu schwingen. Wie alle Traditionen und Bräuche diente auch das „hoangortn“ der
Schaffung und Stärkung einer Gemeinschaft und eines Gefühls von Identität. Es
unterscheidet sich jedoch sehr von anderen Traditionen und kann daher Objekt der
Recherche einer Gruppenausstellung und gleichzeitig Ausgangspunkt für neue Horizonte
sein.
„Hoangortn“ hat keinerlei religiösen Hintergrund und folgt keinem spezifischen Ablauf oder
Ritual. Der Begriff nimmt über die Alpen ziehend unterschiedliche Schreibweisen an und
ändert ständig seine Bedeutung. Was damit assoziiert wird, liegt im Auge der
Betrachter*innen. Gemeinsam haben alle Interpretationen, dass die Menschen dabei im
Mittelpunkt stehen. „Hoangortn“ ist an keinen Ort und keine vereinzelte Aktivität gebunden.
Es ist vielmehr ein Zustand, ein Gefühl das von allen jederzeit geschaffen werden kann.
Hierin liegt die wahre Stärke des „hoangortn“, seine revolutionäre und heilende Kraft. In
einer Zeit, zu der das Treffen mit geliebten Menschen teilweise sehr schwierig ist und die
Welt gleichzeitig eine Stärkung von kleinen Gemeinschaften, die aufeinander achten,
dringend nötig hat, versucht die Ausstellung Hoangortn diesen Zustand zu fördern und an
seine Existenz zu erinnern. Die vier gezeigten Künstlerinnen schaffen dafür im
Ausstellungsraum durch diverse Medien und Themen eine Vielfalt an Zugängen.
Maria Walcher sieht Kunst als ein Medium der Kommunikation um sensible Themen
anzusprechen und Diskussionen anzuregen. Ihre Arbeit Transhumanz liefert den
Gesprächsstoff in Hoangortn, das behandelte Thema geht uns alle etwas an.
Sie spannt den Bogen zwischen Fluchtwegen nach Europa von 2015 und Wegen der
Transhumanz im Südtiroler Schnalstal und im Rest Europas. Die Routen flüchtender
Menschen kommen mit Blaudruckverfahren auf das Innenfutter einer Schafwolldecke, die
Transhumanz-Wege stickt sie mit Roten Fäden ein, sodass sie auf beiden Seiten sichtbar
sind. Das entstehende Muster, welches einem Sternenbild ähnelt, hat keine präzise
Kartographie zum Ziel, sondern vielmehr die Überlagerung einer Thematik, die in der
aktuellen Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht bedeutend ist: die Jahrhunderte alten
Wege der Transhumanz in den Alpen dienten den Menschen in Gefahrenzeiten als
Fluchtwege. Vorbildhaft bietet die Wolldecke im Ausstellungsraum Schutz und Zuflucht.
Franziska Schink schafft für die Ausstellung ortsspezifische Installationen, in welchen Sie
das „hoangortn“ selbst zum Thema macht. Was braucht es dazu, wie sieht der ideale Raum
dafür aus? Gibt es im kollektiven Gedächtnis gewisse Anker, an welchen unser Handeln und
Glauben sich festhalten können? Ist der Höhepunkt des „hoangortn“ bereits vorbei? Die
Künstlerin erinnert sich an ihre Jugend und teilt einen Teil davon mit Millionen von
Menschen derselben Generation. Im hinteren Raum der Galerie schafft sie aus einer Collage
der bekanntesten Filme der 90er eine Tischdecke. Unser aller Weltbild wurde von derartigen
Blockbustern geprägt. Dabei können diese dem „hoangortn“ einerseits als Eisbrecher
dienen, jedoch auch sein Ende bedeuten. Gesellige Abende mit Musik und Kartenspielen
wurden durch Fernseher, Netflix und soziale Medien abgelöst. Ist es Zeit zum „hoangortn“
zurückzukehren? Eine weitere Installation der Künstlerin, eine Eckbank in der Mitte der
Galerie, im Raum verteilte rote Geranien und ein Stapel Karten auf dem Tisch laden
wärmstens dazu ein.
Margareth Kaserer bringt gleich zwei Arbeiten zum „hoangortn“ mit. Über der Eckbank
hängt ein Druck mit dem Titel New Queens in the Making. Die Arbeit entsteht durch die
beliebten Wattkarten, welche ein deftiges Stück an Südtiroler Volkskultur und geselligem
„hoangortn“ darstellen. Dennoch findet sich die Künstlerin darin nicht wieder. Auf den
Karten sind kaum Frauen zu sehen, wenn nicht klein im Hintergrund. Die Karten haben
irgendwann während oder nach Napoleon ihren Weg über Bayern nach Südtirol gefunden
und stammen somit aus einer Zeit, in welcher Frauen gesellschaftlich sehr eingeschränkt
waren. Dies hat sich zum Positiven geändert aber der Weg vor uns ist immer noch lang und
steinig. Am besten drücken die Worte der Künstlerin selbst die Intention hinter der Arbeit
und somit ihre zentrale Rolle in der Ausstellung aus: „Weg mit den selbstgerechten Königen,
weg mit den unhinterfragten, patriarchal geprägten Traditionen, her mit den neuen
Königinnen, frischen Gemeinschaften und Utopien! Lasst uns ein neues Spiel spielen!
Wenden wir gemeinsam das Blatt!“
Neben der Eckbank sind zwei Wäscheleinen quer durch die Galerie gespannt. Hier hängen
weitere Arbeiten von Margareth Kaserer ganz heiter neben jenen von Charlotte Aurich. Die
drei Schürzen, welche an die typischen blauen Schürzen des Landes erinnern, wurden
durch Batik-Techniken verwandelt und tragen den Titel Republic of Sheep. Wie auch in der
Arbeit von Maria Walcher wird hier eine Parallele zwischen Schafherden und den Menschen
gezogen. Wissen wir eigentlich wohin wir laufen und wer oder was uns anführt?
Die Bildkörper von Charlotte Aurich hängen wie große Laken neben den Schürzen auf der
Leine. Die beiden Arbeiten sind trotz grundlegender Diversität gute Nachbarinnen geworden
und repräsentieren somit das Herz des Zustandes „hoangortn“.Um Nachbarschaft geht es der Künstlerin auch in ihren Malereien, welche sich von Wand
und Keilrahmen entfernt haben. Es geht um den Prozess des Malens, die Handlung selbst.
Dabei beeinflusst der Ort der Handlung (Malen als Aktion) die sich wiederholenden
Bewegungen, welche wiederum den gemeinsamen Nenner zwischen den einzelnen Arbeiten
bzw. die Nachbarschaft schaffen. Charlotte Aurich befreit die Malerei für einen Augenblick
von ihren Traditionen und Bräuchen und gibt sich ihr gänzlich hin. Den Zugang, den sie
dabei schafft, erleben wir mindestens so offen und leicht wie ein unbeschwertes
„hoangortn“ mit geliebten Menschen.
Elisa Barison